Die Chronik der alten Dorfschmiede in Ehlen

Wenn ein historisches Gebäude restauriert wird, stößt man bei der Arbeit häufig auf Gegenstände und Aufzeichnungen, die von den Menschen erzählen, die dort gelebt und gearbeitet haben. Daher beschäftigt sich diese "Chronik der Schmiede" nicht nur mit der Baugeschichte, sondern insbesondere mit den Menschen, die hier über 90 Jahre gewirkt und das Dorfleben nachhaltig beeinflusst haben. Eine Schmiede ist auch ein geeigneter Ort für Nachforschungen über das dörfliche Leben der zurückliegenden Zeit, waren doch die Schmieden in einer bäuerlich geprägten Gemeinschaft ein wichtiger handwerklicher Mittelpunkt.

Familie Schnegelsberg in Ehlen
Die Entwicklung der Schnegelsberg´schen Schmiede in Ehlen war überwiegend von zwei Persönlichkeiten geprägt: Dem Gründer, der Schmiede August Schnegelsberg und dessen Sohn Ernst Schnegelsberg.
Die Sippe Schnegelsberg ist in Ehlen schon viele hundert Jahre ansässig. Bereits im Salbuch des Klosters Hasungen aus dem Jahre 1510/15 werden zwei Ortsbürger mit dem Namen "Snegelsberch" als abgabenpflichtige Bauern erwähnt. Die Präsenz dieser Sippe in unserem Dorf kann man anhand der Ehlener Kirchenbücher und anderer Verzeichnisse und Urkunden durchgängig bis heute nachweisen.

Entwicklung der Schmiede von 1891 - 1981
August Schnegelsberg 
August Schnegelsberg wurde am 5.5.1863 als Sohn des Schneiders Georg Schnegelsberg im Hause Nr. 81 (Ritterhagen/Ecke Hohler Weg) geboren. Im Jahre 1891 erwarb er das Haus Nr. 60 im heutigen Brückenweg mit dem dazugehörigen Gartengrundstück. Vielleicht beeinflusst durch eine Schmiede, die sich zu dieser Zeit im Hause Nr. 72 1/2 im Ritterhagen befand, erlernte er den Beruf eines Schmiedes, denn bei seiner Heirat am 17.1.1891 wurde in den Kirchenbüchern als Berufsbezeichnung "Schmied" vermerkt. An diesem Tage führte er die Tochter Eleonore Karoline des Ackermannes Johannes Kohlhausen zum Traualtar. Die Familie Kohlhausen wohnte in Haus Nr. 17 (Mühlenweg/Ecke Friedhofsweg) und betrieb dort wohl neben der Landwirtschaft eine Mühle. Vielleicht haben sich die finanziellen Möglichkeiten mit der Heirat einer vermutlich wohlhabenden Frau so günstig entwickelt, dass das Haus Nr. 60 erworben werden konnte.
Mit diesem landwirtschaftlichen Anwesen erwarb er auch das Gebäude, welches allein am Rande des Grundstückes zur Kohlenstraße hin stand und später als Schmiede genutzt werden sollte. Mündlichen Informationen älterer Bürger zufolge, soll dieses Gebäude bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Backhaus genutzt worden sein. Unter dem Aspekt, dass eine selbständige handwerkliche Tätigkeit neben der Landwirtschaft eine sichere Einkommensquelle darstellt, hat August Schnegelsberg dieses Backhaus wohl bald zu einer Schmiede umgebaut und entsprechend eingerichtet. Dem ersten gewissenhaft geführten Kundenbuch aus dem Jahre 1910 kann man entnehmen, dass zu dieser Zeit schon ein großer Kundenstamm regelmäßig seine Dienste in Anspruch nahm.
Diese handwerkliche Tätigkeit, kombiniert mit der Landwirtschaft, hatte der Familie Schnegelsberg schon einen relativen Wohlstand gebracht, konnten doch nach 1910 die Grundstücke erworben werden, die neben seinem Hause an der Ecke Kohlenstraße/ Brückenweg lagen. Zwei kleinere Häuser, die hier standen, waren im Jahre 1910 einem Feuer zum Opfer gefallen. Die ehemaligen Besitzer haben nach unseren Ermittlungen in der oberen Kohlenstraße bzw. im Erleweg neue Häuser errichtet.
August Schnegelsberg gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern der Ehlener Dresch-Genossenschaft. Bei Aufräumungsarbeiten in der Schmiede konnten zwei Bücher sichergestellt werden, die Aufzeichnungen dieser Genossenschaft aus den Jahren 1907-1914 enthalten.
Offensichtlich war er zeitweise mit der Aufgabe betraut, für diese Gemeinschaft die Bücher zu führen, die Benutzung der Dreschmaschine abzurechnen, das eingenommene Geld zu verwalten und Überschüsse bei der Ehlener Darlehenskasse bzw. der Kreissparkasse in Volkmarsen anzulegen.

Ernst  Schnegelsberg
Am 17. September 1899 wird Ernst Schnegelsberg geboren. Er besucht von 1905 - 1913 die Volksschule in Ehlen. Vom Vater dazu ausersehen, den Schmiedebetrieb einmal zu übernehmen, erlernt er bei einem Lehrmeister Volland in Rotenburg während einer dreijährigen Lehre das Schmiedehandwerk. Der genaue Zeitraum der Lehre konnte nicht ermittelt werden, da der Original-Lehrbrief wohl in den Kriegswirren des 1. Weltkrieges verlorengegangen ist und uns nur ein Duplikat aus dem Jahre 1922 vorliegt.
Vom 22.1.1918 - 10.2.1919 wird seine berufliche Entwicklung durch den 1. Weltkrieg unterbrochen. Aus dem Militärpass geht hervor, dass er als Marinesoldat eingezogen wurde und in diesem Rahmen eine Ausbildung als Maschinist begann, welche dann durch Kriegsende und Demobilisierung abrupt beendet wird. Die berufliche Weiterentwicklung vor Augen, nimmt er im Jahre 1921 an einer sechsmonatigen Ausbildung in der Lehrschmiede Hellwig in Kassel teil, um die speziellen Fertigkeiten eines Hufschmiedes zu erlernen. Offensichtlich diente dies auch zur Vorbereitung auf die Meisterprüfung, welche er am 17. Mai 1922 ablegt. Ein Schulheft mit technischen Aufzeichnungen, das sich in unserem Besitz befindet, stammt wahrscheinlich aus dieser Zeit. Im "Leitfaden des Hufbeschlages", einem Lehrbuch, welches uns von den Erben übergeben worden ist, hat unser Schmied auch die Namen seiner Mitstreiter Martin Botthof aus Martinhagen und Karl und Heinrich Ledderhose aus Zierenberg, vermerkt. Zu Martin Botthof muss noch längere Zeit eine Beziehung bestanden haben, da man seinen Namen noch häufig in den Kundenbüchern findet.
Wie den Kundenbüchern auch zu entnehmen ist, hat der Vater den Schmiedebetrieb wohl nach der Meisterprüfung dem Sohn übergeben. Am 1.4.1930 wird der Betrieb in die Handwerksrolle bei der Handwerkskammer Kassel eingetragen, hier wird Ernst Schnegelsberg als Inhaber des Schmiedebetriebes bezeichnet.
Berichten von Ehlener Bürgern war zu entnehmen, dass unser Schmied immer bedacht war, seinen Horizont zu erweitern und seine Fähigkeiten den neuen Techniken anzupassen. So soll er bei der Elektrifizierung des Dorfes in den frühen zwanziger Jahren viele Häuser in Ehlen an das Stromnetz angeschlossen und auch über weitere umfassende Kenntnisse in diesem Bereich verfügt haben. Man kann nur vermuten, dass er einen Teil dieser Fertigkeiten während seines Militärdienstes erworben hat. Dafür, dass er neuen Techniken immer positiv gegenüberstand, spricht auch, dass er schon 1927 den Motorradführerschein erwarb. Ältere Ehlener Bürger können sich noch erinnern, dass Ernst Schnegelsberg einer der ersten Motorradbesitzer in Ehlen war und schon im Jahre 1936 einen Personenkraftwagen der Marke "DKW" sein Eigen nannte.
Im Jahre 1924 heiratet er die Tochter des Schneiders Johann Bernhard Knobel. Diesem Zweig der großen Sippe Knobel entstammt der bekannte Sänger Ludwig Knobel. Am Geburtshaus der Gertrud Elise Schnegelsberg geb. Knobel (Nr. 87/ Steinweg 13) ist noch heute eine Gedenktafel zur Erinnerung an diese Persönlichkeit angebracht.
Mit dem technischen Fortschritt hatte sich unser Schmied auch den neuen Anforderungen anzupassen. Mit der fabrikmäßigen Herstellung landwirtschaftlicher Maschinen verlagerte sich seine Tätigkeit auch auf den Handel mit solchen Maschinen und die Lieferung von Ersatzteilen. Bis etwa 1960 hatte jedoch auch die eigentliche Schmiedetätigkeit noch einen hohen Stellenwert.
Nach dem Tode des Gründers der Schmiede im Jahre 1939 wird Ernst Schnegelsberg ab 1940 zum Kriegsdienst herangezogen. Wiederum bei der Marine, versieht er seinen Dienst mit einer kurzen Unterbrechung bis zum 10.8.1944. An diesem Tage gerät er in amerikanische Gefangenschaft, aus der er erst am 9.4.1946 in seine Heimat entlassen wird. Während dieser Zeit wurde der landwirtschaftliche Betrieb mit Hilfe sogenannter "Fremdarbeiter" weitergeführt, der Schmiedebetrieb jedoch ruhte.
In den fünfziger Jahren war die Schmiede ein beliebter Treffpunkt der männlichen Dorfjugend. Es ist überliefert, dass unser Schmied bemüht war, den Jugendlichen sein Handwerk näher zu bringen und Interesse dafür zu wecken. Tatsächlich haben einige dieser Jugendlichen dann einen metallverarbeitenden Beruf ergriffen.
Die fortschreitende Technisierung der Landwirtschaft und der Rückgang der Pferde wirkten sich bis 1960 auch hier aus. Ernst Schnegelsberg arbeitete in beschränktem Rahmen bis ins hohe Alter in seiner Schmiede. Erst die zurückgehende körperliche Leistungsfähigkeit zwang ihn nach 1970 zum Rückzug aus dem Schmiedebetrieb 1974 konnte er zusammen mit seiner Ehefrau, die 1978 verstarb, das Fest der goldenen Hochzeit feiern.Da die Ehe kinderlos blieb und der als Erbe vorgesehene Sohn seiner Schwester, Ernst Lehmann, aus dem Kriege nicht zurückkehrte, vererbte er das Anwesen der Tochter seiner Schwester, die noch heute in Kassel lebt. Im Hause der Erben in Kassel verstarb Ernst Schnegelsberg am 26. Mai 1980.

In der Schmiede Ernst SchnegelsbergErnst Schnegelsberg und Christian Straßberger in der Schmiede 1970

Entwicklung nach dem Tode des Schmiedes
Im Jahre 1981 wurden Haus, Grundstück und Nebengebäude veräußert. Dem neuen Besitzer haben wir es zu verdanken, dass die Schmiede so erhalten blieb, wie Ernst Schnegelsberg sie verlassen hatte.
Der Geschichts-und Heimatverein Habichtswald konnte die Schmiede mit Hilfe des Landes Hessen in den Jahren 1993/94 sanieren und renovieren und damit eine Museums-und Aktivschmiede schaffen. Damit konnte Schmiedetradition in Ehlen fortgesetzt werden. Dies fiel besonders leicht, weil der damalige Besitzer und auch die Erben wichtige Werkzeuge und Gegenstände zur Verfügung gestellt hatten, um einen funktionierenden Schmiedebetrieb wieder in vollem Umfang sicher zu stellen.
Heute ist die Ehlener Dorfschmiede ein auch über die Gemeindegrenzen hinaus bekanntes Kleinod.
Quelle "Alte Dorfschmiede in Ehlen"; Herausgeber: Geschichts-und Heimatverein Habichtswald 1998 (Autor dieses Beitrags in der Broschüre: Egon Jordan)